Draußen sein – Prolog
Projekttagebuch
Woche 0.5 // 01. Juli bis 03. Juli 2022
Endlich, ich starte mit meinem Rechercheprojekt, das mir schon längst „unter den Nägeln brennt“ und veröffentliche Auszüge aus meinem Projekttagebuch.
Ich wollte nicht loslassen von dem Gedanken, dass die Formen der Architektur, des Raumes, der Umgebung gestisch zu verstehen sind. So als wären Bewegung und Raum in ihren Elementen miteinander verknüpft. Das Zauberhafte der Orte solle sich erschließen, wenn man von den Gesetzmäßigkeiten der Bewegung ausgehen würde. Dennoch ist es mir wichtig, dass das Wissen den Genuss nicht hindern, die Erkenntnis nicht das Erlebnis verderben und der Kopf nicht das Fühlen im Bauch besiegen soll. Ein Hoch auf die Intuition der Bewegung.
Hiersein. Jetzt. Hierher! Dorthin! Draußen sein!
Orte festlegen.
Orte wirken suggestiv anregend oder langweilig, herausfordernd oder beruhigend auf uns, besonders dadurch, dass sie mit unserem Körpergefühl korrespondieren. Also vorwiegend mit unserer Vorstellung vom Körper, seiner Gestalt und seinen möglichen Bewegungen. Die Architektur und die Natur werden spontan als Umwelt des Körpers erlebt. Der Körper in seinem Rhythmus, seiner Gestalt und insbesondere das Repertoire seiner Bewegungen bilden den dynamischen Vordergrund für das Erlebnis eines Ortes. Die Bewegungsstrukturen des Körpers treten in Verbindung mit den Räumen.
Der Tanzende im Raum ist durch die Saggitalebene bestimmt, die den Körper in zwei Hälften teilt: rechts und links. Aus den Fußsohlen erhebt sich die Körperachse vertikal.
Die Füße stehen fest auf der Erde, der Kopf strebt nach oben gen Himmel.
Die beweglichen Glieder lösen sich aus der Vertikale des Körpers, bilden rechts und links charakteristische Silhouetten. Die Hauptbewegungsrichtungen symbolisieren ein Achsenkreuz – oben / unten, vorne / hinten, rechts / links. Als die Mitte des Systems wird die Brust empfunden, manchmal auch der Bauch, im Tanz nennen wir es gern „das Zentrum“. Das stärkste Element im Körperschema ist wohl das „hier!”, und dabei ist wohl vor allem das Oben- / Unten-Gefühl des Körpers gemeint – mein Bezug zur Erde.
Hiersein. Jetzt hiersein. Hierher! Dorthin!
Geradeaus! Rechts herum, links herum. Die Treppe rauf! Hinunter! An der Wand entlang!
Einen Ort festlegen. Eine Stelle bezeichnen. Einen Platz besetzen.
Ich bestimme räumliche Qualitäten. Von dieser Qualität gehe ich aus, wenn ich über Raum spreche.
„Hier will ich bleiben!“
„Hier werde ich wohnen!“
„Hier sterben!“
Worte von Rittern. Worte von Bürgern. Worte von Königen. Worte von mir.
Ich sehe Bauwerke und Berge, Orte wie Wunder und aus der Zeit gefallen.
Teiche, Quellen, Höhlen – Orte, an denen Ursprung spürbar wird.
Was bedeutet ein Ort? Ein Platz zum Erzählen, ein Platz für den Gemüsemarkt, ein Platz zum Hinsetzen, ein Platz für Prozesse. Kleine und große Bühnen zur Verkündigung von Wahrheiten, Erkenntnissen, Forderungen, Regeln, Machtansprüchen?
Orte mit Erinnerungen… die erste Liebe, das höchste Glück, der große Abschied.
Orte der Stadt – der Bahnhof, das Rathaus, das Blumengeschäft, der Coffee-Shop, das Museum, das Denkmal, die schöne Aussicht… Orientierungspunkte, Orte zum Merken, Orte der Aufmerksamkeit, temporäre Orte.
Es entsteht das Bild einer Idee.
Prolog: Was erwartet mich?; Musik: Sascha Werchau